
1. Seit wann ist Ergonomie für Sie ein Thema? Wie sind dazu gekommen?
Wir sind ja ein 100 Jahre alter Bürofachhändler. Irgendwann in den 80er Jahren ist uns aufgefallen, dass mit den allgemein verbreiteten Bürostühlen etwas nicht stimmen konnte, da so viele Kunden anfingen über Rückenprobleme zu klagen.
Das war sozusagen die Anfangszeit der „sitzenden Gesellschaft“. Wir sind dann mehr oder weniger gezielt auf die Suche nach Alternativen gegangen.
2. Können Sie kurz Ihren beruflichen Werdegang in Sachen Ergonomie skizzieren? (Seit wann betreiben Sie ihr eigenes Ladengeschäft?)
1988 haben wir nach einer Planungszeit mithilfe des EKS-Management Systems dann das „Haus für gesundes Sitzen“ eröffnet. Der lange Name entstand auch in Abgrenzung zu unserem Bürohandel, da beide Geschäfte eine Zeitlang parallel liefen.
Im ersten Jahr war ich etwas verunsichert, da sich die Orthopäden ja alle gegenseitig widersprechen und ich kein Mediziner bin. Wir haben dann aber nach einer gewissen Zeit gemerkt, dass die skandinavischen Sitzkonzepte, speziell die Balans-Ideen von Peter Opsvik, so gut durchdacht sind, dass die Erfolge in der Realität für sich sprechen. Damals hat sich der normale Bürofachhandel noch über uns amüsiert, heute ist da jedes zweite Wort Rücken und Ergonomie, ohne dass sich das Verständnis signifikant gebessert hätte.
3. Was bedeutet Ergonomie für Sie?
Wir haben in den 25 Jahren Spezialisierung natürlich viel Wissen angesammelt. Im Grunde geht es aber immer um das Zusammenspiel des Arbeitsumfelds mit dem nun mal real vorhandenen Bauplan des Menschen. Physis, Anthropologie und Humanität sind die Schlüsselwörter. Dies zu bedenken, fällt den meisten Designern ungeheuer schwer. Ich liebe es auch gern ästhetisch oder komfortabel, aber in der heutigen Zeit, in der der Bildschirm ein Rückenkiller par excellence ist, bleibt Ergonomie die unverzichtbare Basisanforderung.
4. Das Sitzen und die damit verbundene Bewegungslosigkeit stehen aktuell sehr in der Kritik. Jüngste wissenschaftliche Studien sparen nicht mit harschen Vorwürfen. Wie schätzen Sie die Sachlage ein?
Eigentlich bin ich zuversichtlich, dass sich vieles durch neue Arbeitsformen relativieren wird. Z.B. kann man mit dem iPad während der Bahnfahrt oder auf der Couch schon sehr mobil arbeiten, um einmal vom höhenverstellbaren Tisch und seinen Möglichkeiten zu schweigen. Es gilt die Regel: Alles was zu lange oder extrem ausartet, kann zum Problem werden. Die Abwechslung ist das Hauptziel, nur glaube ich, dass der Schreibtisch aus Gründen der Arbeitsdisziplin so schnell nicht verschwinden wird. Und hier ist der bewegliche Stuhl die richtige, körpergerechte Lösung!
5. Gibt es einen Hersteller / Produktlinie, die Sie besonders schätzen / empfehlen?
Besonders mag ich den Reflex 2 von Peter Opsvik, hergestellt von Holzwerk. Ein wunderbarer, schwingender Relaxsessel mit dem schönen Ziel feste Haltungen aufzulösen. Freiheit zur Bewegung!
6). Auf welchem Stuhl und an welchem Schreibtisch sitzen / arbeiten Sie?
Ich sitze auf einem skandinavischen Bürostuhl vor einem STOKKE-Tisch.
7. Welche Maßnahmen empfehlen Sie zusätzlich um einen Arbeitsplatz ergonomisch sinnvoll zu gestalten?
Man sollte vom Menschen ausgehen, der Stuhl ist klar Nr.1, da körpernah. Als nächstes kommt der Steh-Sitztisch ins Bild, verbunden mit ergonomischen Hilfsmittel auf dem Tisch vor dem Bildschirm, die vor allem bei Problemen im Hals-Nackenbereich unumgänglich sind.
Dann öffnet sich schon das weite Feld der Bürogestaltung, bei der aktuell besonders Licht und Akustik im Fokus stehen. Wir versuchen bei der Büroeinrichtung aufgrund der Kostensituation vordringlich den gesunden Bürostuhl durchzusetzen und den Rest dann möglichst pragmatisch und wirtschaftlich zu gestalten. Am liebsten würde ich mich aber mit Feng- Shui Möbeln austoben, um den Arbeitsfluss, die Arbeitsorganisation zu vitalisieren, da sehe ich viel Potential. Na, vielleicht kommt das noch!
8. Ergonomie am Arbeitsplatz ist für viele Menschen ein Begriff. Wie sieht es zu Hause aus? Welche Möglichkeiten empfehlen Sie dort?
Zu Hause spielt nicht nur das Home Office eine größere Rolle, sondern die Bereiche rückenfreundliche Relaxmöbel, Seniorensessel mit Motor nach Maß, gesunde Bewegungsstühle um den Esstisch (für lange, gemütliche Runden, ohne das sich der Rücken meldet) und ergonomische Stehhilfen für Küche und Freizeit sind an erster Stelle zu nennen. Für den hart gestressten „Worker“ von heute empfehlen wir, um dem technologischen Alltag zu entfliehen, zum Abhängen die krass-kultigen, barocken Riesensofas von Bretz. Etwas für die Seele und gleichzeitig, man mag es kaum sagen, schwer gemütlich.
9. Gibt es weitere Bereiche des Lebens, wo Ergonomie eine Rolle spielt (wie z.B. Autofahren, Sport, Freizeit)?
Zum Beispiel Software! Für uns ist derzeit besonders interessant der Seminar- und Konferenzbereich, also Kommunikationsinseln im Allgemeinen. Hier können die meisten nach einer Viertelstunde kaum noch zuhören, weil sich ihr Rücken meldet. Und es gibt spannende Lösungen. Das geht auch ein Stück in den Bereich Schulmöbel zum Mitwachsen. Produktionsstühle in den Hallen nicht zu vergessen, z.B in Edelstahl im Nahrungssektor. Darüber könnte man lange reden!
10. Wie sehen Sie die Rolle ergonomischer Möbel in der Zukunft?
Richtig aufregend finde ich den 3D – Drucker. Wird sich jetzt jeder seinen eigenen Stuhl herstellen können? Wer wird sich mit welchem Bauplan wie den Rücken verhunzen? Na ja, das war jetzt etwas frech von mir. Mea Culpa! Fachwissen und Erfahrung lassen sich, glaube ich, nun mal schwer ersetzen. Wer sich aber mit genügend Zeit in das Problemthema vertieft, könnte vielleicht ein Sitzmöbel produzieren, das zu seiner Anatomie passt, wer weiß? Ich begutachte das gerne!
Also: Ich glaube, die Ergonomie hat noch eine bedeutende Zukunft vor sich. Denn die anschwellende Menge der Computer, die verkauft werden, verhält sich umgekehrt proportional zur Menge der gesunden Bürostühle. Da ist die Rückenkatastrophe vorprogrammiert!